KIND OF…
Zurich, 2017
Kupferkater oder leitender Tiger – es ist für ihn nur ein Sprung aufs matt verwitterte Blech, er lebt in der Dachwohnung und auf der grossen Terrasse nebenan. In der einen Hand das Telefonino, in der anderen die bengalische Glut. Frisch poliert würde dieses Dachkupfer glänzen, anspielungsreich, nun zeigt es fröhliche Patina. Und ist Kulisse für einen frühen Windsurfmeister und Wellenreiter, der in Bussen jahrelang unterwegs gewesen war an ferne Küsten oder Striche. Bewegte Linien, er ist ein Zeichner, agiert heute mit poetischem Charme, oft in maximaler Wellenferne, im frankenlastigen öffentlichen Raum. Halstuch schützt Herz.
Ich habe vom Künstler vor Jahren ein Schächtelchen mit zwei verbliebenen Small Cigars oder Cigarillos geschenkt bekommen, BRASIL, 100 % TOBACCO, es liegt neben der Schreibmaschine bei den
Trockenpilzen. Kann ihm erfreulicherweise in der Nachbarschaft begegnen, im nahen Boomraum Binz – Bürotanker, Digital- und Kreativwirtschaft, Harasshandel, fliegende Mittagsbuden. Tausendschaften strömen ums Atelierhaus, auf dessen Dach sich seine Warte befindet. Aus grossen Fenstern blickt er auf die sich auswellende Horizontlinie des Stadtbergs. An späten Freitagnachmittagen spielt er vor dem Bahnhof Binz mit Familie und Freunden Pétanque im Wartekies – ein betrepptes Plätzchen mit leichtem Gefäll, fix installierte Bänke, Veloständer werden öfters umgruppiert, es findet sich trotzdem immer eine schlanke Bahn. Wartende setzen sich gleisabgewandt auf die Treppentritte, schauen zu – wenn aufwärts gespielt wird, werden silberne Kugeln der untergehenden Sonne zugehalten, was sich rundet, spricht ihm zu, es gibt den schönen Wurf, die schöne Flugbahn. Ein gelassener Pétanquemeister zwischen Abendsonne und scheuem Pendlerneon, immer wieder, hört man, werden ernste Versuche unternommen, ihn an grosse Turniere abzudelegieren.
Bei einem gemeinsamen Schreibprojekt mit Jugendlichen konnte er eine unübersichtliche Anordnung tiefensicher vereinfachen: «Wir machen ein Spiel.» Fragende Blicke aller Beteiligten. «Wir bauen mit den Jugendlichen verschiedene Spielfelder, wir erfinden Spielfiguren und als Texte: die Spielanleitungen, die sie schreiben werden.» Einladung ins Dachatelier, um Figuren zu kneten. Habe mich beim Bahnhof Binz bei der Klasse eingereiht, um den Moment mitzuerleben, da die Jugendlichen ihr erstes Atelier sehen würden, Dachlandschaft mit freiem Übergang von Leben und Werk, Wohnen und Arbeiten, Skizze und Bild. Der Gastgeber durfte knetend geduzt werden: «Wir sind jetzt auf derselben Ebene.» Wochen später sah ich einen Mann im Werkraum eines Oberstufenschulhauses im Overall unter Gleichberechtigten, aushelfend in alle Richtungen. Auf den Werkbänken die entstehenden Spielbretter. Paradiesisch: der unerschöpfliche Materialhinterraum – Farbtuben, Hölzer, Gips, Klebebänder, Leime, Lianen, Kaugummi, Kautschuk, evtl. Tobacco.
Wellenbeobachtungen jahrelang von der Küste oder vom Wasser aus, ideal, wenn es dir gelingt, dich mit dem Wind, mit dem Segel direkt aufs Brett zu ziehen. Auf dem Weg hinaus musst du als Windsurfer die Wellenkämme überspringen, oft meterhoch, dann drehst du einwärts, und erwischst du die Welle richtig, so überträgt sich die Energie, rollende Wucht, spürst sie mit dem ganzen Körper, es lässt sich mit nichts vergleichen. Sturmwarnungen, blinkende Ufer, bei Orkanwinden wurde auch der Zürichsee reizvoll, wir waren immer auf der Flucht vor der Seepolizei, die irgendwann aufgab.
Portrait-Idee, gezeichnet, wieder verworfen: Der Künstler auf dem grossen Schuttbergkamm, der bei der Hardbrücke auf der Baustelle des Polizei- und Justizzentrums entstanden war. Aushubmaterial, das zum Hinterfüllen verwendet werden würde. Baustellenerfahren schildert er, wie dieses Gebilde, ein Prisma, fast 20 Meter hoch, entstanden sein müsste, Schicht für Schicht, unten gröbere Brocken, dann kleinteiligere Stücke, zuletzt Sande, wieder eingerieselt, bis die Neigung entstanden ist, 45 Grad – während er spricht, sehe ich ihn mit einem Brett oben auf dem Kamm, sehe, wie er sein Segel hochzieht und sich in die Tiefe stürzt, Linien zeichnend, 100 % Wellenmensch. (Die Glut geht nicht aus.)
Peter Weber