Adrian Schiess

MALEREI
Le Locle, 2015

Das Porträt entstand in Le Locle, im Atelier von Adrian Schiess. Lange lebte und arbeitete der Maler zuvor in einem kleinen Haus in Mouans-Sartoux, umgeben von einem verwilderten Garten. Als ich Adrian dort am 27. Februar 2007 besuchte, blühten vor seinem Atelierfenster die Mimosen. Vor einigen Jahren verlegte er sein Atelier aus dem Süden Frankreichs in einen geräumigen Gewerbebau im Schweizer Jura. Seither hat sich die Farbpalette verändert und die Farbe ist nicht mehr durchsetzt von Zypressennadeln und von den Blättern und Blüten des Mimosenbaumes, sondern von den Nadeln der Föhren vor den Fenstern seines Ateliers. Das Bild zeigt den Maler inmitten seiner Arbeiten. Mehrere Schichten eines transparenten, feinmaschigen Polyestergewebes sind auf dem Atelierboden ausgelegt. Die Stofflagen werden in einem längeren Malprozess immer wieder mit Farbe übergossen. Die dünnflüssige Farbe breitet sich auf der Gewebeoberfläche aus, zieht in das Gewebe ein und durchdringt dabei die Stoffschichten. Der Maler löst während des Malens die verklebten Lagen voneinander und verändert deren Anordnung. Ihn interessiert Farbe sowohl in ihrer Tonalität als auch als Material, das er wegen der von ihm gewählten Malverfahren nur bedingt zu kontrollieren vermag. Bekannt geworden ist er mit seinen Flachen Arbeiten. Die Ausstellung in der Kirche San Stae anlässlich der Biennale von Venedig 1990, die 42 Platten aus den Jahren 1987–1990 umfasste, steht am Anfang einer bis heute anhaltenden Wirkungsgeschichte dieser kontinuierlich weitergeführten, einzigartigen Werkgruppe. Die von ihm zunächst eigenhändig mit meist monochromen Lackfarben bemalten Spanplatten und die seit 1990 im Spritzwerk mit Industriefarbe nach aquarellierten Vorlagen glanzlackierten Aluminiumverbundplatten werden auf Kanthölzern, einzeln oder in Gruppen, flach auf dem Boden ausgestellt. Auf den spiegelnden farbigen Oberflächen zeigt sich die Umgebung. Kennzeichnend für sein Werk ist nicht nur ein grundsätzlicher Zweifel an der Darstellbarkeit der Welt mit den der Malerei gegebenen Mitteln und somit an der Möglichkeit, Wirklichkeit in einem mitteilbaren Sinne überhaupt abzubilden, sondern umgekehrt auch das Bekenntnis zu Momentaneität und subjektiver Erfahrbarkeit von Realität. Als Daniel Charles 1970 John Cage fragte, ob Kunst seiner Definition nach nicht „eine Disziplin der Anpassung an die bestehende Realität“ sei, antwortete der Komponist: „Sie sagen: das Reale, die Welt, wie sie ist. Aber sie ist nicht, sie wird! […] Man kommt dieser Realität näher, wenn man sagt, wie sie ‚sich präsentiert‘; das bedeutet, dass es sie nicht gibt, dass sie nicht wie ein Objekt existiert. Die Welt, das Reale, ist kein Objekt. Sie ist ein Prozess.“[1] Die Malerei von Adrian Schiess handelt vom Realen.

Roman Kurzmeyer


[1]John Cage, Für die Vögel. Gespräche mit Daniel Charles, Berlin 1984, S. 89.